Gedanken zum 23. Sonntag im Jahreskreis
Hat Ihnen schon mal jemand etwas angetan? Biblisch gesprochen: Hat ein Bruder (oder eine Schwester] gegen Sie gesündigt? Vielleicht erinnern Sie sich an größeres Unrecht oder an kleine Verletzungen. Es kommt in unserem Leben leider vor, dass Menschen einander beleidigen, betrügen, verletzen.
Dem Evangelisten Matthäus muss das auch in den jungen, syrisch-palästinischen Christengemeinden aufgefallen sein, an die er diese Rede Jesu aus dem 18. Kapitel seines Evangeliums wahrscheinlich adressiert. In den Gemeinden gibt es anscheinend einige, die anderen nicht nur Gutes wollen. Es wird uns nicht berichtet, um welche Art des Vergehens es sich handelt. Ob Betrug oder Diebstahl, Lästerei oder Gewalt, das überlässt Matthäus unserer Fantasie. Das ist nicht schlimm, denn in dieser Bibelstelle geht es darum, den richtigen Umgang für Streitigkeiten im Allgemeinen zu finden.
Wie sollte man mit so einer Situation umgehen? Es gibt viele Möglichkeiten. Man könnte zum Gegenangriff übergehen: Beleidigen, schlecht über die Person reden, etc.. Im Kindergarten nannten wir das „zurückärgern“. Oder man könnte die ganze Sache ignorieren, nach dem Motto: Du kannst mir nichts anhaben und Schwäche werde ich jetzt sicher nicht zeigen.
Jesus schlägt im Evangelium etwas Anderes vor. Er skizziert den Jünger:innen einen Dreischritt. Zuerst soll es die betroffene Person allein versuchen und das Gespräch unter vier Augen führen. Führt dies zu keiner Erkenntnis, können zwei oder drei Zeug:innen helfen. Vielleicht gelingt es ja, dem:der Sünder:in deutlich zu machen, dass hier wirklich Unrecht geschehen ist. Da auch dieses Instrument nicht immer erfolgreich ist, bleibt der dritte Schritt. Die Gemeinde wird eingeschaltet. Sieht die beschuldigte Person auch jetzt ihr Fehlverhalten nicht ein, büßt sie massiv an Status ein, wird wie ein Zöllner oder eine Heidin behandelt.
Wie so oft beim Lesen biblischer Texte bin ich zögerlich. Ist das jetzt eine frohe Botschaft? Passt sie in meine Lebenswelt? Naja, meine Welt ist eine andere. Es wäre zum Beispiel nicht mein Stil, einen Streit in der Pfarreiöffentlichkeit auszutragen. Gleichwohl könnte eine Sünde gegen mich durchaus vor größerem Publikum enden, nämlich vor Gericht. Das ist der Extremfall und nicht exakt das, was Matthäus meint.
Mir sind die kleinen Situationen näher. Etwa der missglückte Witz, der verletzend war oder Lieblosigkeit in Momenten, in denen ich nichts mehr als Liebe gebraucht hätte. Ich mag Jesu Ansatz, zuallererst allein das Gespräch zu suchen. Diese correctio fraterna (übersetzt: brüderliche [geschwisterliche] Zurechtweisung) hat Tradition und ist mehr als eine Zurechtweisung. Schon der erste Schritt kann viel bewirken, wenn er gut gegangen wird.
Zunächst kann ich die andere Person fragen, ob sie bereit ist für ein Gespräch, um eine Rückmeldung zu bekommen. Diese Offenheit ist wichtig, denn nur wer offen für die Worte der:des Anderen ist, kann die Worte wirklich hören und sich weiterentwickeln. Dann kommt es auf mich an. Ich kann einen Dreischritt verwenden, den schon viele Jugendgruppenleiter:innen auf ihren Schulungen lernen: Richtig Feedback geben mit der Regel WaWiWu (Wahrnehmung, Wirkung, Wunsch):
- In der Situation habe ich wahrgenommen…
- Das hat so auf mich gewirkt: …
- Ich wünsche mir…
Wenn sich beide Seiten weiterentwickeln wollen lassen sich so zumindest kleinere Angelegenheiten gut klären. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die geschwisterliche Zurechtweisung funktioniert.
Wichtig scheint mir das Ziel zu sein: Der Bruder [die Schwester] soll zurückgewonnen werden. Wer sich durch falsches Verhalten von der Glaubensgemeinschaft – und somit auch von Gott – entfernt hat, fehlt. Es ist dann sogar ein Akt der Barmherzigkeit, diesen Fehler nicht einfach stehen zu lassen.
Einen gesegneten Sonntag wünscht
Florian Bundesmann
florian.bundesmann@bistum-essen.de