Gedanken zum 20. Sonntag im Jahreskreis
Liebe Leserin, lieber Leser, wer oder was ist eigentlich katholisch?
Spontan könnten wir antworten: „Katholisch ist eine Person, die zur Katholischen Kirche gehört.“ Die Frage wird als eine Frage der Zugehörigkeit gedeutet: Wer gehört dazu und wer nicht? Und wenn es darum geht dazuzugehören, haben wir sofort einen ganz konkreten Kirchturm im Blick.
So ist es uns fast ausnahmslos beigebracht worden. Wenn wir gefragt werden, sollen wir gefälligst antworten: „Ich gehöre zur Pfarrei St. X!“ Jede Pfarrei war eine in sich geschlossene Organisation, in der die Mitglieder ihr ganzes Leben verbrachten. Unter diesem speziellen Kirchturm wurden sie getauft und gefirmt, dort feierten sie die Erstkommunion und die Hochzeit. Und im Schatten dieses Kirchturms wurden sie beerdigt. In dieser geschlossenen Organisation war man entweder drin oder draußen. Und wenn man dazugehörte, war man automatisch in einem Verein oder Verband – als Kind Messdiener, KJG oder DPSG, als Erwachsener KFD, Elisabeth-Konferenz, Vinzenz-Konferenz, Kolping, KAB oder Chor und so weiter. Wer wollte, konnte natürlich auch mehreren angehören bis hin zum Pfarrgemeinderat oder Kirchenvorstand.
Katholisch sein – das bedeutete Teil einer streng hierarchischen Pfarrei zu sein, deren unangefochte- nes Oberhaupt der Pfarrer war. Um ihn scharte sich die Kerngemeinde und erhielt Anteil an seiner Macht. Dazu gesellte sich das Kirchenvolk, das sonntags in die Kirche zu kommen hatte. Damit konnte man wunderbar prahlen: „Wir sind eine lebendige Gemeinde, unsere Kirche ist jeden Sonntag voll!“ Bis hinauf zu den Bischöfen war das (fast) das einzige Kriterium. Die Zugehörigkeit ging so weit, dass durch ein ungeschriebenes Gesetz selbst der Gottesdienstbesuch in einer anderen Kirche nicht gern gesehen war. Verirrte man sich in eine andere Kirche, bekam man höchstens Gaststatus, gehörte aber keinesfalls dazu. Selbstverständlich konnte man sich bei Wallfahrten, Katholikentagen oder ähnlichen Anlässen auch mit Mitgliedern anderer Pfarreien treffen, dabei musste aber immer klar sein, wer von welchem Kirchturm stammt, damit alle wussten, wo man hingehört.
Diese Vorstellung wurde so lange und so eindrücklich allen Christinnen und Christen eingetrichtert, dass sie bis heute kaum hinterfragt wird. Wir gehen so selbstverständlich davon aus, dass wir zu einem Kirchturm gehören, dass wir uns nicht vorstellen können, dass „katholisch“ sein etwas Anderes ist.
Noch kann uns niemand genau sagen, wie es stattdessen weitergehen soll, aber es gibt mindestens zwei Gründe, das Kirchturmdenken zurückzulassen. Einerseits wird uns rückblickend klar, dass dieses abgeschottete und zentralistische System eine wichtige Säule im Missbrauchsskandal ist. Nur dort konnte in einem solchen Ausmaß Missbrauch geschehen und so umfassend vertuscht werden. Ande- rerseits ist die Wortbedeutung von „katholisch“ mit dem Wort „umfassend“ zu übersetzen. Wer ka- tholisch ist, ist es wörtlich gemeint nicht für sich oder für eine kleine Gruppe, er oder sie ist es für alle. Die Antwort auf die Frage: „Wer oder vor allem was ist katholisch?“ lautet also „Christin bzw. Christ sein für alle.“ oder „Die Frohe Botschaft verkünden für alle.“
Wie schwer es ist, katholisch zu sein, sehen wir im heutigen Evangelium. Eine Frau kommt zu Jesus und bittet ihn, ihre Tochter zu heilen. Die Frau ist Kanaaniterin. Sie gehört nicht dazu. Deshalb hat sie auch keine Heilung verdient. Jesus tut so, als sei er für sie nicht zuständig. Und die Jünger wissen es sofort: Wer nicht dazugehört, bekommt kein Heil. Aber die Frau bleibt hartnäckig. Sie zwingt Jesus förmlich dazu, sich als der allumfassende Retter zu zeigen. Er bringt das Heil für alle, auch für die, die angeblich nicht dazugehören.
Als unbeteiligte Beobachterin bzw. unbeteiligter Beobachter könnte man sagen: „Na, geht doch! Ist doch gar nicht so schwer …“
Ihnen und allen, die zu Ihnen gehören, wünsche ich einen gesegneten Sonntag
Ihr Winfried Rottenecker, Diakon