Gedanken zum 4. Sonntag der Osterzeit
Liebe Leserin, lieber Leser,
haben Sie schon einmal ein Führungskräfte-Seminar besucht? Oder haben Sie schon einmal einen der unzähli-
gen Ratgeber für Führungskräfte gelesen? Manche arbeiten mit abstrakten Begriffen wie „autoritärer Füh-
rungsstil“, „flache Führungsebene“, „situative Entscheidungsfindung“ oder Ähnliches. Andere verwenden Bild-
worte wie „Leitwolf“, „Speersitze“, „Leuchtturm“ und viele andere mehr.
Im Evangelium des heutigen Sonntags nehmen wir sozusagen auch an einem Führungskräfte-Seminar teil und
Jesus ist der Anleiter. Er verwendet das Bildwort des Hirten. Dieses Bildwort greift er zum einen aus der All-
tagserfahrung seiner Zeit auf, zum anderen gibt es dafür biblische Vorbilder, etwa bei den Propheten Jesaja
oder Ezechiel. Doch sagt Jesus sofort dazu, dass das Bildwort des Hirten mehrdeutig ist. Wenn Führungskräfte
wie Hirten seien, gäbe es ganz unterschiedliche Varianten, gute und schlechte.
Wenn wir auf die Politik unserer Zeit schauen, sehen wir auch ganz unterschiedliche Hirten. Manchen Hirten
unserer Zeit scheinen die Schafe gleichgültig zu sein, sie kümmern sich nur um den eigenen Vorteil. Andere
scheinen sogar die ganze Herde aufs Spiel zu setzen, nur um die eigene Haut zu retten. Manche Schafe leben
heute in Lebensgefahr, weil sie solche Hirten haben.
Selbst der Blick auf unsere Kirche zeigt, dass es hier Hirten gab und gibt, die einzelne Schafe oder ganze Her-
den ins Unglück stürzen, nur um des eigenen Vorteils willen. Die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals offen-
bart erschreckende Geschichten.
Auch in unseren Nachbarschaften und Familien, in unserem persönlichen Umfeld erleben wir immer wieder,
dass Menschen, die für andere verantwortlich sind, ihre Position zum eigenen Vorteil ausnutzen und damit
anderen sogar Schaden zufügen.
Wenn wir heute am Führungskräfte-Seminar des Evangeliums teilnehmen, erklärt Jesus uns, was es bedeutet,
ein guter Hirt zu sein. Drei Kriterien nennt er.
Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Das Leben und das Wohlergehen der Schafe sind ihm wichtiger
als das eigene Leben. Jeder Hirt sieht den Wolf und erkennt, dass seine Schafe in Gefahr geraten, aber nur der
gute Hirt wehrt die Bedrohung ab, auch wenn das für ihn gefährlich werden kann. Wenn wir am Führungs-
kräfte-Seminar Jesu teilgenommen haben, setzen wir uns für die ein, für die wir Verantwortung tragen, auch
wenn wir dadurch Nachteile haben oder es für uns unangenehm werden kann.
Einem guten Hirten liegt etwas an seinen Schafen. Es geht ihm nicht nur darum, dass sie keiner Gefahr ausge-
setzt sind, er interessiert sich dafür, dass es ihnen gut geht. Alle Hirten zählen ihre Herde von Zeit zu Zeit und
prüfen, ob noch alle da sind, aber nur der gute Hirt achtet darauf, dass es seinen Schafen auch gut geht. Wenn
wir am Führungskräfte-Seminar Jesu teilgenommen haben, interessieren wir uns dafür, wie es unseren Mit-
menschen geht. Um ein etwas drastisches Beispiel zu wählen, könnte man sagen, wir warten nicht ab, bis die
ältere Dame in der Nachbarschaft tot in ihrer Wohnung aufgefunden wird, wir schauen vorher nach, wie es ihr
geht.
Der gute Hirt kennt seine Schafe und seine Schafe kennen ihn. So viele Hirten wissen nicht, wer ihre Schafe
überhaupt sind, was sie interessiert und was nicht, was sie gut können und was nicht oder was ihnen Sorgen
macht und wofür sie sich begeistern. Um das alles zu erfahren, muss der gute Hirt bei seinen Schafen sein, sich
mit ihnen beschäftigen, neugierig sein und von ihnen lernen wollen. Die anderen Hirten interessieren sich nur
für sich selbst. Wenn wir am Führungskräfte-Seminar Jesu teilgenommen haben, sind wir neugierig und wollen
von den Menschen lernen, für die wir verantwortlich sind. Wir lernen sie kennen und geben uns zu erkennen.
Liebe Leserin, lieber Leser, Sie sind heute Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Führungskräfte-Seminars Jesu.
Sie dürfen sich zu guten Hirten fortbilden lassen. Wir können das, weil wir in Jesus einen guten Hirten haben.
Weil er für uns vorgelebt hat, dass er unser guter Hirt ist, können wir in seine Schule gehen. Wünschen wir uns
gegenseitig viel Erfolg dabei.
Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, wünsche ich einen gesegneten Sonntag.
Ihr Winfried Rottenecker, Diakon