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Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste (Mk 1,12-15)

Gedanken zum 1. Sonntag der Bereitungszeit

„Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren.“ So hören wir es im heutigen Evangelium. Das klingt fast so, als wäre Jesus vierzig Tage in das Jahr 2024 gegangen.

Viele von uns erleben die Zeit heute als Wüste, als Ort der Lebensfeindlichkeit, an dem nichts Freundliches, Buntes, Liebevolles oder Annehmliches zu finden ist, als Ort der brennenden Einsamkeit. Immer wieder ist zu lesen, dass die Corona-Pandemie Auswirkungen auf unser Miteinander hatte, dass wir distanzierter wurden, viele soziale Kontakte verloren haben und uns in die innere Wüste zurückziehen. Andere meinen, dass durch die Pandemie nur das verstärkt wurde, was auch vorher vorhanden war. Auch vor Corona wurden wir mitten im lauten, geschäftigen Trubel unseres Alltags immer einsamer. Das betrifft offensichtlich alle Generationen, die Kinder und Jugendlichen genauso wie die Erwachsenen und die Betagten. So viele vermissen das unbeschwerte, fröhliche und unmittelbare Miteinander und fühlen sich allein gelassen mit ihren Sorgen, Wünschen und Ängsten. Wenn Jesus die Wüste sucht, im Jahr 2024 könnte er sie finden.

Die Wüste im Jahr 2024 ist genauso voller Versuchungen wie Jesus sie zu seiner Zeit erlebt hat. Überall werden uns Versprechungen gemacht, dass die Lösung aller Probleme so einfach sei. Überall tauchen Heilsversprechen auf, die uns doch nur teuflisch in die Irre führen wollen. Was auf den ersten Blick so verlockend klingt, erweist sich als Fälschung, als Propaganda oder als Verschwörungstheorie. Auf was und auf wen können wir uns wirklich noch verlassen? Welche Informationen sind vertrauenswürdig und welche sind nur ein perfider Trick der Täuschung? Wir alle wünschen uns den Weltfrieden, wir wollen die Bewahrung der Schöpfung und sehnen uns nach sozialer Gerechtigkeit. Aber wie sollen wir diese Ziele erreichen? Von allen Seiten werden uns Lösungen versprochen, aber kaum sehen wir sie genauer an, entpuppen sie sich als Wege der Gewalt, des Hasses, der Zerstörung und der Ungerechtigkeit. Wenn das Evangelium berichtet, dass Jesus in der Wüste in Versuchung geführt wurde, haben wir heute eine Vorstellung davon, was damit gemeint ist.

Jesus lebt in der Wüste bei den wilden Tieren. Wenn wir die wilden Tiere des Jahres 2024 benennen sollen, fällt uns sofort eine lange Liste ein. Die Diktatoren und Despoten haben Hochsaison, die Nachrichten sind voll davon. Die politische Landschaft ist weltweit voll von Putschisten, Warlords, Kriegstreibern und schillernden Scharlatanen. Auch in Europa und selbst in Deutschland sind die Freiheit und die Demokratie gefährdet. Wie anders können diese Agitatoren beschrieben werden? Sie sind wilde Tiere, die alles zerfleischen und zerstören wollen. Aber auch unsere unmittelbare Umgebung scheint zu verwildern. In unserer Nachbarschaft sieht es so aus, als gehe der soziale Zusammenhalt zurück und greife das Recht des Stärkeren immer weiter um sich. Selbst den Kindern wird immer öfter beigebracht, dass sie sich durchsetzen müssen, dass sie sich nichts gefallen lassen dürfen, dass sie lieber zuerst zuschlagen sollen, damit sie nicht nachgeben müssen.

Jesus geht vierzig Tage in die Wüste und erfährt, was es bedeutet, dort zu leben. Er lernt vierzig Tage lang kennen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Er geht durch die Wüste des Menschseins, um genau dort seine Frohe Botschaft zu verkünden. Inmitten der Wüste, inmitten der Versuchungen und der wilden Tiere sammelt er die Verheißung: „Das Reich Gottes ist nahe.“ Nicht in den Königspalästen, nicht auf den Ponyhöfen, nicht in den Komfortzonen sammelt er die Botschaft, sondern in der Wüste.

Wenn wir heute den ersten Sonntag der Bereitungszeit auf Ostern hin begehen, haben wir die Gelegenheit, unsere Situation im Jahre 2024 genauer wahrzunehmen. Wir können die Wüsten unserer Zeit als solche erkennen, wir können die Versuchungen unserer Zeit als solche entlarven und die wilden Tiere heute beim Namen nennen. Unsere Welt heute ist, wie sie ist. Uns allen, liebe Leserin und lieber Leser wünsche ich, dass mitten in der Wüste unserer Zeit sich die Frohe Botschaft sammelt: „Das Reich Gottes ist nahe.“ Der Weg der Bereitungszeit mag durch die Wüste führen, aber er führt auf Ostern hin. Spüren Sie es schon?

Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, wünsche ich einen gesegneten Sonntag.

Ihr Winfried Rottenecker, Diakon

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