Gedanken zum 24. Sonntag im Jahreskreis 2023
Liebe Leserin, lieber Leser,
Streit gehört irgendwie zum Leben dazu. Wo Menschen sind, gibt es Streit.
Manchmal ist es notwendig, sich zu streiten, weil es schließlich um etwas geht, was uns wichtig ist. Aber es gibt auch den Streit, der immer mehr unser Leben und Denken vergiftet, weil sich alles nur noch um ihn dreht.
(Bevor wir jetzt anfangen, über das Gendern zu streiten, soll hier erwähnt werden, dass dieser Text – der besseren Lesbarkeit wegen – vornehmlich männliche Formen verwendet. Sie, liebe Leserin und lieber Leser, dürfen sie selbstverständlich nach Belieben durch weibliche oder diverse Formen ersetzen.)
Da ist der Nachbarschaftsstreit, der harmlos mit der Höhe der Hecke oder der Bepflanzung neben der Einfahrt begonnen hat, der aber jetzt durch keine Mediation und auch durch kein Gericht mehr geschlichtet werden kann.
Da ist der schreckliche Kollege, der einfach keine Ruhe gibt. Allein der Gedanke an ihn lässt auf dem Weg zur Arbeit schon den Magen verkrampfen, weil dieser Kollege offensichtlich alles tut, um mir zu schaden.
Da ist der Familienstreit, der sich auf der Oberfläche ums Erbe dreht, aber insgeheim unlösbare Verwerfungen zwischen den Geschwistern zutage bringt, weil der eine oder die andere sich schon seit der Geburt benachteiligt fühlt. Jeder Versuch zu schlichten macht alles nur noch schlimmer.
Und da ist der Rosenkrieg nach der Scheidung, der zum Teil sogar Jahrzehnte lang mit unerbittlicher Härte und meist auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Alle Mittel sind recht und nichts ist zu peinlich, wenn es darum geht, der anderen Partei zu schaden. Das Umfeld wird nur noch nach schwarz oder weiß beurteilt: entweder du bist für mich oder gegen mich.
Manch ein Streit ist schon so eingefahren und so ritualisiert, dass schon keiner mehr sagen kann, wie er begonnen hat. Es ist ja auch egal, der andere meint es böse mit mir und will mir schaden, ich muss alles tun, um es ihm heimzuzahlen. – Wie soll da Vergebung möglich sein? Wie soll da Vergeben aussehen?
Vergebung ist schon gar keine Kategorie mehr, weil es nur noch darum geht, das Gesicht zu wahren, Recht zu haben und Recht zu bekommen. Wissen wir überhaupt noch, was Vergeben ist?
Das Evangelium des heutigen Sonntags fragt danach, wie oft wir einander vergeben sollen. Die Antwort unserer Zeit würde lauten: „Nie im Leben!“ Jesus hingegen vergleicht uns mit einem Menschen, der seinem Herrn gegenüber Schulden angesammelt hat. In seinem Umfeld gibt es wiederum andere, die ihm gegenüber Schulden haben. Die Schulden gegenüber dem Herrn sind unermesslich, die Schulden der anderen vergleichsweise gering. Können Menschen des 21. Jahrhunderts sich mit diesem Vergleich identifizieren? Haben wir Schulden beim Herrn? Das möchten wir auf jeden Fall vermeiden. Haben andere Schulden bei uns? Das würden zumindest die anderen für abwegig halten. Schuld eingestehen und Schuld vergeben, das war vielleicht früher, aber heute interessiert das niemanden mehr. Heute haben wir recht und müssen alles daransetzen, auch Recht zu bekommen.
Und doch spürt der Autor dieser Zeilen eine tiefe Sehnsucht nach Versöhnung, nach Vergeben und Verzeihen. Wie schön es sein kann, singt uns Jürgen Werth:
Ihnen und allen, die zu Ihnen gehören, wünsche ich einen gesegneten Sonntag
Ihr Winfried Rottenecker, Diakon