Gedanken zum 31. Sonntag im Jahreskreis: „Dein Leben ist einmalig und kostbar…“

Liebe Leserin, lieber Leser!

Unser kleiner König in unsrer Krankenhaus-Kapelle, von Ralf Knoblauch gestaltet, kommt gebrechlich daher. Mit Macken und aus krummem Holz geschnitzt. Und doch trägt er eine Krone als Zeichen seiner unverlierbaren Würde.

Wie kostbar und unverfügbar ihr Leben ist, durchfährt Menschen oft dann, wenn ihnen eine ernste Diagnose mitgeteilt wird. Ich darf Menschen im Krankenhaus begleiten; auch dabei, wenn ihnen die Erkenntnis ihrer eigenen Kostbarkeit einen neuen, allerdings schmerzhaft errungenen, staunenden Blick auf ihre bisherige Biografie schenkt.

In diesem Blick können sie sich selbst und andere neu würdigen: „Als ich sie damals traf, habe ich nicht geahnt, was daraus einmal werden würde…“

Wie kostbar und einmalig mein Leben ist und ich selbst bin, kann ich auch auf ganz andere, aber ähnlich intensive und existenziell beglückende Weise erfahren, wenn ich frisch verliebt bin und liebe. Das macht mich hellwach dafür, wie lebendig und einmalig ich bin!

Um die Liebe geht es in den Schrifttexten heute: Du sollst Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Markus 12,28f).

Aber kann man denn Liebe überhaupt gebieten- wo sie doch das Allerfreiwilligste ist, das wir geben können? Es könnte wie ein moralisch überfordernder Anspruch missverstanden werden, was doch gemeint ist als Zusage des kostbarsten Geschenks.

Dieses „Liebes-Gebot“ ist Antwort, wenn Menschen fragen: Was ist geboten, wenn es gut weitergehen soll mit uns und der Welt? Es geht um nichts Geringeres als um das, was die Welt im Innersten zusammenhält- unsere eigene kleine wie die große Welt. „Liebt euch oder die Welt geht zugrunde“, sagte Teilhard de Chardin, Jesuit und Paläontologe, kurz bevor die Beatles sangen: „All you need is love“.

In einem Klima, bei dem vieles als den Fugen gerät- im amerikanischen Wahlkampf, in Kriegen und in multiplen Krisen- gedeihen Polarisierung oder auch Gleichgültigkeit besser als Respekt, Verbundenheit und Solidarität. Dabei brauchen wir nichts so dringend wie Liebe, die Menschen und Menschengruppen wie eine Fuge zusammenhält und verbindet. Und zwar ganz gleich, wo wir anfangen in der Liebe und wo wir sie hineinlassen. Denn „Gottesliebe und Nächstenliebe sind eins “, sagt die Hl. Katharina. Hauptsache, sie fließt, die Liebe! Liebe zu mir selbst, zu allen Lebewesen und zum göttlichen Geheimnis als der Urquelle aller Liebe. Denn es gehört zur Liebe, sich mitzuteilen, überzufließen, Gutes zu sagen und Ja zu sagen.

Gutes sagen und gutheißen bedeutet „Segnen“ (bene-dicere). Im Segen liegt Kraft. Segen krönt, was ist und bringt es zum Leuchten. Segen stellt in den Raum, in dem Liebe fließt.

Im Monat November rücken uns unsere Endlichkeit und Sterblichkeit näher. Auch ohne ernste Diagnose fordern sie heraus. Mit den Worten: „Dein Leben ist einmalig und kostbar“ beginnt unser Segens-Gebet, mit dem wir Sterbende segnen. Wir überlassen sie nicht der Nichtigkeit, sondern stellen sie in Gottes Schutzraum.

Diesen Sterbesegen darf jedeR geben! (Auf Nachfrage lasse ich ihn Ihnen gern zukommen). Er drückt unsere christliche Hoffnung aus: unser einmaliges und kostbares Leben, es wird uns nie genommen, nur gewandelt.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Lisa Lepping,

Klinikseelsorgerin im St. Josef-Hospital

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