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Kairos

Gedanken zum 1. Advent

Kennen Sie das? Haben Sie schon einmal die wunderbare Fügung erlebt, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein? In diesen kostbaren Momenten öffnet sich oB eine Tür zu neuen Möglichkeiten, die wir mit offenen Armen empfangen. In diesen Momenten eröffnet sich sich vielleicht der Weg zu einem geliebten Menschen oder zu einer tiefen Freundschaft. Vielleicht ist es der Augenblick, der Ihnen den Weg zu Ihrem Traumberuf gewiesen hat. Sie kennen sicher zahlreiche solcher Gelegenheiten. Andererseits gibt es Zeiten, in denen wir, vielleicht aus Zögern oder Unsicherheit, solche Gelegenheiten verstreichen lassen.

Auch die antiken Griechen waren diesem Phänomen nur allzu vertraut. Sie prägten sogar einen Begriff dafür: den Kairos. Personifiziert wurde Kairos als eine Gottheit, die eine Glatze hat, mit nur einem lockigen Schopf auf der Stirn. Die Griechen stellten sich vor, dass Kairos mit eilenden Schritten an ihnen vorbeiläuft. Erwischen sie die Locke, gelingt es ihnen, die Gelegenheit zu ergreifen. Verpassen sie jedoch diese Locke, enteilt ihnen Kairos und sie können ihn wegen seines kahlen Hinterkopfes nicht festhalten. Die Gelegenheit entgleitet ihnen unwiederbringlich. Aus dieser Vorstellung entspringt auch die Redensart, eine Gelegenheit beim Schopfe zu packen.

Der Kairos spielt auch im Glauben immer wieder eine wichtige Rolle. Es geht darum, die rechte Zeit für das richtige Handeln zu erkennen. Ein Beispiel hierfür ist der Barmherzige Samariter, der zur rechten Zeit Hilfe leistete. Im Evangelium des vergangenen Sonntags hörten wir, wie die Gerechten den Geringsten zur rechten Zeit beistanden und deshalb mit Gott ins Himmelreich einziehen können. Ein aufmerksames Studium der Bibel offenbart uns zahlreiche Berichte, in denen Menschen zur rechten Zeit das Richtige taten und dadurch einen wertvollen Dienst an Gott und ihren Mitmenschen leisteten.

Auch im Evangelium des heutigen Sonntags steht der rechte Moment – der Kairos – im Mittelpunkt: Es geht um das Kommen des Menschensohnes, also um Jesus. Für uns mag es offensichtlich sein, dass hier von Jesus selbst die Rede ist. Doch für die frühen Christen im 1. Jahrhundert, an die der Evangelist Markus seine Botschaft richtete, hatte dies noch eine tiefere Bedeutung. Sie glaubten, dass Jesus als Menschensohn noch zu ihren Lebzeiten zurückkehren und das endzeitliche Gericht einläuten würde, was ihre Erlösung und den Eintritt ins Himmelreich zur Folge hätte. Daher war es für die frühen Christen von entscheidender Bedeutung, für den rechten Moment – den Kairos der Rückkehr Christi – bereit zu sein. Unser heutiges Evangelium fordert uns auf, für den Tag bereit zu sein, an dem Christus in diese Welt kommt. Das ist es, was wir an Weihnachten feiern.

Deshalb wird dieses Evangelium ganz bewusst zu Beginn des Advents gelesen: Es fordert uns auf, uns auf die Ankunft Christi in dieser Welt vorzubereiten. Lasst uns daher die Gelegenheit beim Schopfe packen und uns sowohl innerlich als auch äußerlich auf das Weihnachtsfest vorbereiten.

Johannes Geis

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