Gedanken zum 5. Sonntag der Bereitungszeit
Liebe Leserin, lieber Leser, im heutigen Evangelium für den fünften Sonntag der Bereitungszeit lernen wir zwei Männer aus Griechenland kennen. Sie kommen offensichtlich als Touristen nach Jerusalem. Es handelt sich vermutlich um vermögende Männer, weil sie sich die Reise sonst nicht leisten könnten, und sie sind gebildet, sie kennen sich aus. Sie wissen, dass der höchste Jüdische Feiertag, der immer im Frühjahr in Jerusalem gefeiert wird, eine Reise wert ist. Sie rechnen mit großen Menschenmengen, Umzügen mit Musik, unterschiedlichen Feierlichkeiten und reichlich Spektakel. Das war bis vor kurzem nicht anders: Ostern in Jerusalem oder Weihnachten in Betlehem als absolute Touristen-Hotspots. Es gibt viel zu erleben und zu sehen, reichlich Gelegenheit, spektakuläre Fotos zu machen, die man zuhause zeigen und mit spannenden Geschichten untermalen kann. Die beiden Touristen aus Griechenland aus dem heutigen Evangelium haben also alles richtig gemacht, als sie nach Jerusalem aufgebrochen sind. Und dieses Jahr – so denken sie vermutlich – wird es besonders spannend. Ein gewisser Wunderheiler namens Jesus soll in der Stadt sein. Oder ist er etwa ein Aufrührer, sogar ein Revolutionär oder etwa ein echter Prophet? Die beiden sind wirklich gut informiert, sie wollen auf jeden Fall diesen Jesus treffen. Und sie wissen, wie sie an ihn herankommen. Sie sprechen einen der Apostel an, Philippus. Der wiederum spricht mit Andreas und beide gehen zu Jesus, um ihm das Anliegen der beiden Männer aus Griechenland vorzutragen. Aber Jesus ist keine Touristenattraktion und will es auch nicht sein. Jesus antwortet mit einer Rede, die auf den ersten Blick etwas ungeordnet und durcheinandergewürfelt klingt. Jedenfalls ist von edler, geschliffener Rhetorik, wie sie für edle, griechische Touristen angemessen wäre, nicht viel zu hören. Eher klingt Jesus nervös. Er spürt, dass es bald ernst wird für ihn. Als Mensch, als Sohn der Maria, ahnt er wahrscheinlich, dass sein Wirken als Bote der Frohen Botschaft auf einen Höhepunkt zuläuft, der für ihn tödlich enden wird. Als Sohn Gottes und Messias weiß er, was auf ihn zukommt. Vermutlich stellt er sich schon ein auf das letzte Abendmahl und das, was danach kommen wird: Verrat, Verhaftung, Prozess, all die Qualen und schließlich der Tod am Kreuz. Jesus bereitet sich auf den Weg vor, der für ihn selbst und für alle Menschen zum Weg der Auferstehung wird. Was da auf Jerusalem zukommt, wird inszeniert sein wie ein Schauspiel und wird viele Schaulustige anziehen. Insofern kommen alle Touristen voll auf ihre Kosten. Für Jesus und seine Anhängerinnen und Anhänger aber ist es der entscheidende Wendepunkt für ihr eigenes Leben und für die gesamte Menschheit. Es ist der Moment, in dem Gott in Jesus seinen neuen, ewigen Bund mit den Menschen schließen wird, der Moment, in dem Jesus sein Leben hingibt, um für alle Menschen das Leben zu gewinnen. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in diesen Tagen auf Ostern zugehen, ist es Ihr gutes Recht, sich zu den beiden Touristen aus Griechenland zu gesellen und das Geschehen zu betrachten. Sie können sich einen sicheren Platz aussuchen und neutral beobachten, was da passieren wird. Sie können aber auch selbst in die Ereignisse der Karwoche eintauchen. Sie können Ihren persönlichen Karfreitag, ihre eigenen Katastrophen, Untergänge und Momente des Scheiterns mitnehmen und zu dem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens an Ostern machen. Sie können ihren eigenen Kreuzweg mit Jesus mitgehen und sich zusagen lassen: „Ich bin gemeint. Das, was hier geschieht, geschieht für mich. Der Sieg Jesu über den Tod und alles Böse ist der Sieg für mich.“ Wir wissen nicht, wie die beiden Touristen aus Griechenland die Tage der Karwoche in Jerusalem erlebt und wie sie auf die Geschehnisse reagiert haben. Wir können nur erahnen, was sie nach ihrer Rückkehr ihren Freunden und Verwandten erzählt haben. Sie können auf jeden Fall von sich behaupten, dass sie zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Uns allen, ob Beobachtende oder Teilnehmende, gilt die Verheißung Jesu: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.“ Ihnen und allen, die Ihnen am Herzen liegen, wünsche ich einen gesegneten Sonntag. Ihr Winfried Rottenecker, Diakon |